Baker-Team, Nobelpreisträger, veröffentlicht bahnbrechende Nature-Studie: KI entwirft Antikörper mit atomarer Präzision von Grund auf und gestaltet den 445 Milliarden Dollar schweren Medikamentenmarkt neu
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Das Team von Nobelpreisträger David Baker hat einen revolutionären Durchbruch im Bereich des KI-gestützten Antikörperdesigns erzielt. Ihre neueste, in der Fachzeitschrift "Nature" veröffentlichte Forschungsarbeit ermöglicht das Design völlig neuer Antikörpermoleküle von Grund auf und mit atomarer Präzision. Dies eröffnet völlig neue Wege für die Behandlung schwerer Krankheiten wie Krebs und Infektionskrankheiten. Diese Forschung markiert den Beginn einer neuen Ära in der Computerbiologie und Medikamentenentwicklung.
University of Washington, 5. November 2025 – Nur einen Monat nach dem Gewinn des Nobelpreises für Chemie 2024 hat das Labor von Professor David Baker, Direktor des Institute for Protein Design an der University of Washington, die Wissenschaftswelt erneut in Erstaunen versetzt. Ihre neueste Forschungsarbeit, veröffentlicht in der führenden Fachzeitschrift "Nature", kündigt einen bedeutenden Durchbruch an, der die Landschaft der Pharmaindustrie neu gestalten könnte: die Nutzung von Künstlicher Intelligenz, um Antikörper von Grund auf zu entwerfen, die krankheitsrelevante Moleküle präzise ansteuern können.
Vom Unmöglichen zur Realität: KI gestaltet die Antikörperentwicklung neu
Antikörper sind eine Säule der modernen Medizin, und der globale Markt für Antikörpertherapien wird voraussichtlich in den nächsten fünf Jahren ein Volumen von 445 Milliarden US-Dollar erreichen. Die traditionelle Antikörperentwicklung basiert jedoch auf Tierimmunisierung, zufälligem Screening oder der Isolierung von Antikörpern aus Patienten. Diese Methoden sind nicht nur zeitaufwändig und mühsam, sondern führen oft auch nicht zu idealen Antikörpern für spezifische therapeutische Zielmoleküle.
Die Forschung von Bakers Team hat diese Situation grundlegend verändert. Die Arbeit mit dem Titel "Atomically accurate de novo design of antibodies with RFdiffusion" (Atomar präzises De-novo-Design von Antikörpern mit RFdiffusion) zeigt, wie durch ein fein abgestimmtes RFdiffusion-Deep-Learning-Netzwerk in Kombination mit der Hefe-Oberflächen-Display-Screening-Technologie völlig neue Antikörpermoleküle am Computer entworfen werden können.
"Das ist, als würde man ein Kunstwerk auf einer leeren Leinwand schaffen, anstatt ein bestehendes Werk zu modifizieren", erklärte Andrew Borst, einer der Hauptautoren der Studie und Leiter der Kryo-EM-Entwicklung. "Es war eine große Herausforderung – ein einstiger Tagtraum. Jetzt haben wir diesen Meilenstein erreicht, und diese Forschung kann sich in unvorstellbare Höhen entwickeln."
Technischer Durchbruch: Präzises Design von sechs komplementaritätsbestimmenden Regionen
Eine der beeindruckendsten Errungenschaften dieser Studie ist das erfolgreiche Design vollständiger Antikörpermoleküle mit sechs völlig neuen komplementaritätsbestimmenden Regionen (CDRs). CDRs sind die Schlüsselregionen, die für die Erkennung und Bindung von Zielmolekülen durch Antikörper verantwortlich sind. Sie sind vergleichbar mit den "Fingern" eines Antikörpers, die spezifische krankheitsrelevante Moleküle mit atomarer Präzision greifen müssen.
Das Forschungsteam validierte das Design für mehrere krankheitsrelevante Zielmoleküle, darunter:
- Clostridium difficile Toxin B (TcdB)
- Influenza-Virus-Hämagglutinin
- SARS-CoV-2-Rezeptorbindungsdomäne
- Respiratorisches Synzytial-Virus
Mithilfe der Kryo-Elektronenmikroskopie (Kryo-EM) bestätigten die Forscher, dass die entworfenen Antikörpermoleküle hochgradig mit den Computermodellen übereinstimmten, mit einer strukturellen Präzision von 0,2 bis 1,1 Ångström (1 Ångström = 10^-10 Meter). Diese atomare Designgenauigkeit ist beispiellos.
Ein Einzeldomänenantikörper (VHH) gegen das Influenza-Virus zeigte eine Affinität von 78 Nanomolar, während ein Antikörper gegen das Clostridium difficile-Toxin eine Affinität von 72 Nanomolar erreichte. Noch wichtiger ist, dass diese Antikörper in der Lage waren, die vorgesehenen Epitope präzise zu binden und die Toxinaktivität in In-vitro-Experimenten erfolgreich zu neutralisieren.
Vom Labor zur Klinik: Beschleunigung des Medikamentenentwicklungsprozesses
Die Praktikabilität dieser Technologie wurde umfassend validiert. Das Forschungsteam wandelte die entworfenen Einzelketten-Variablenfragmente (scFv) in vollständige IgG1-Antikörper um, wobei eine ähnliche Bindungsaffinität (68 Nanomolar) erhalten blieb. Dies beweist, dass die Methode direkt auf die Entwicklung von Vollängen-Antikörpern angewendet werden kann und den Weg für klinische Anwendungen ebnet.
Bemerkenswert ist, dass die Forscher auch das OrthoRep-System für kontinuierliche Hypermutation nutzten, um die Affinität der ursprünglich entworfenen Antikörper zu reifen. Dies führte zu einer Steigerung der Bindungsaffinität um etwa zwei Größenordnungen auf einstellige Nanomolar- oder sogar Subnanomolar-Werte, während das ursprüngliche Bindungsmuster beibehalten wurde.
Noch zukunftsweisender ist, dass das Team erfolgreich Antikörper gegen das Neuroblastom-assoziierte Peptid PHOX2B und MHC-Komplexe entwarf. Dieses Ziel war zuvor mit traditionellen Methoden schwer zu erreichen, und die neue Technologie bietet neue Möglichkeiten zur Behandlung dieser Hochrisiko-Kinderkrebsart.
Open-Source-Geist: Zum Wohle der globalen Forschungsgemeinschaft
Im Einklang mit Professor Bakers konsequenter Open-Source-Philosophie wurde die in dieser Studie verwendete Software auf GitHub kostenlos für die globale akademische Gemeinschaft, Einzelpersonen und kommerzielle Nutzer zugänglich gemacht. Diese offene Wissenschaftshaltung wird die Innovation und Entwicklung von Antikörpermedikamenten weltweit beschleunigen.
Zu den Erstautoren der Arbeit gehören Nathaniel Bennett, Joseph Watson, Robert Ragotte und Andrew Borst, die alle am Institute for Protein Design der University of Washington tätig waren. David Baker leitete die Studie als korrespondierender Autor.
Branchenauswirkungen: Biotechnologieunternehmen wetteifern um Positionen
Diese bahnbrechende Forschung hat in der Biotechnologiebranche große Aufmerksamkeit erregt. Das gut finanzierte Startup Xaira Therapeutics (geführt von Alumni des Institute for Protein Design) hat Teile der Technologie für den kommerziellen Betrieb lizenziert, und mehrere Autoren der Arbeit sind derzeit bei diesem Unternehmen angestellt.
Branchenexperten sind der Ansicht, dass mit der Verbesserung der Methoden und der Erhöhung der Erfolgsraten das computergestützte Antikörperdesign schneller und kostengünstiger sein könnte als die Tierimmunisierung oder das Screening zufälliger Bibliotheken. Dies wird die Anzahl der klinischen Zielmoleküle und Krankheiten erhöhen, die mit Antikörpertherapien behandelt werden können.
Zukunftsausblick: Die Ära der KI-gesteuerten Präzisionsmedizin
"Ich bin sehr gespannt auf die Zukunft", sagte Professor Baker in einem Interview nach dem Gewinn des Nobelpreises. "Ich denke, Proteindesign hat ein enormes Potenzial, die Welt zu einem besseren Ort zu machen, und wir stehen wirklich erst am Anfang."
Die Studie bietet noch Raum für Verbesserungen. Das Forschungsteam weist darauf hin, dass die Integration der neuesten architektonischen Verbesserungen, neuer Fortschritte in der generativen Modellierung und die Erweiterung auf Nicht-Protein-Atome (wie Glykane) die Erfolgsrate und den Anwendungsbereich des Designs weiter verbessern werden.
Noch vielversprechender ist, dass das nach der Veröffentlichung der Arbeit eingeführte AlphaFold3-System, wie eine retrospektive Analyse zeigte, die experimentelle Erfolgsrate signifikant erhöhen kann. Die zukünftige Integration solcher verbesserten Vorhersagetools wird die Erfolgsrate des Antikörperdesigns erheblich steigern.
Wissenschaftliche Bedeutung: Lebensdesign mit atomarer Präzision
Aus einer breiteren Perspektive stellt diese Forschung einen Sprung in der synthetischen Biologie dar. Zum ersten Mal ist der Mensch in der Lage, funktionelle biologische Moleküle mit atomarer Präzision von Grund auf nach Bedarf zu entwerfen, ohne auf Vorlagen der natürlichen Evolution angewiesen zu sein.
Die Kryo-EM-Strukturvalidierung zeigte eine extrem hohe Übereinstimmung der entworfenen Influenza-Virus-Antikörper und Clostridium difficile-Toxin-Antikörper mit den Computermodellen, einschließlich der hochvariablen H3-Schleife und der gesamten Bindungsorientierung. Diese Strukturen unterscheiden sich stark von allen bekannten Strukturen in der PDB-Datenbank.
"Dies sind die ersten strukturell validierten De-novo-Antikörper", betont die Arbeit. Diese Errungenschaft beweist nicht nur die Machbarkeit der Technologie, sondern eröffnet auch ein völlig neues Paradigma des Medikamentendesigns.
Fazit
Die Forschung von David Bakers Team, die Computerbiologie, Künstliche Intelligenz und Strukturbiologie perfekt miteinander verbindet, zeigt das immense Potenzial wissenschaftlicher und technologischer Fortschritte zum Wohle der menschlichen Gesundheit. Vom Nobelpreis bis zur bahnbrechenden Veröffentlichung in "Nature" demonstriert Professor Baker mit seinen Taten, was "Wissenschaft ohne Grenzen" bedeutet.
Mit der kontinuierlichen Verbesserung der Technologie und der schrittweisen Ausweitung ihrer Anwendung haben wir Grund zu der Annahme, dass eine neue Ära der KI-gesteuerten Präzisionsmedizin bevorsteht. Zielmoleküle, die einst als "nicht medikamentös behandelbar" galten, und Krankheiten, die die Menschheit lange geplagt haben, könnten in nicht allzu ferner Zukunft eine Behandlungsperspektive finden.
Über den Autor
David Baker, Professor für Biochemie an der University of Washington, Direktor des Institute for Protein Design, Forscher am Howard Hughes Medical Institute. Nobelpreisträger für Chemie 2024, ausgezeichnet für seine bahnbrechenden Beiträge zum computergestützten Proteindesign. Er hat über 640 von Fachkollegen begutachtete Artikel veröffentlicht, hält über 100 Patente und ist Mitbegründer von 21 Biotechnologieunternehmen.
Informationen zur Veröffentlichung
- Titel: Atomically accurate de novo design of antibodies with RFdiffusion
- Zeitschrift: Nature
- Veröffentlichungsdatum: 5. November 2025
- DOI: 10.1038/s41586-025-09721-5
- Autoren: Nathaniel R. Bennett, Joseph L. Watson, Robert J. Ragotte, Andrew J. Borst und weitere Teammitglieder
Lesezeit: ca. 8 Minuten